Anti-infektive Naturstoffe
Shownotes
Die Abteilung „Antiinfectiva aus Microbiota“ von Prof. Christine Beemelmanns fokussiert sich auf die Identifizierung und funktionelle Analyse von neuartigen anti-infektiven Naturstoffen aus mikrobiellen Gemeinschaften. Ko-Kultivierungsstudien sowie zellbasierte Assays in Kombination mit chemisch-analytischen und molekularbiologischen Methoden werden zur Evaluierung neuer mikrobieller Naturstoff-Produzenten verwendet. Zur Strukturaufklärung der sekretierten Naturstoffe wendet die Gruppe etablierte und innovative metabolomische, aktivitäts- und genomgeleitete Methoden an. Basierend auf den isolierten Naturstoffen erfolgt die funktionale Analyse und Evaluierung ihres Wirkspektrums. Die Abteilung hat ihren Sitz am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken, einem Standort des HZI in Kooperation mit der Universität des Saarlandes.
Die Verbreitung von Antibiotika-resistenten humanpathogenen Bakterien ist eine zunehmende Bedrohung für die menschliche Gesundheit. Daher sind die Entwicklung neuer Anti-Infektiva sowie ein verbessertes Verständnis ihrer Funktion und Wirkungsweise dringend notwendig. Eine vielversprechende Quelle für neue Wirkstoffe sind Mikroorganismen. Mikrobielle Gemeinschaften (Mikrobiota / Mikrobiom) setzen sich aus einer Vielzahl verschiedener Bakterien, Pilze und Vertreter ein- und wenigzelliger Eukaryoten sowie Viren, zusammen. Diese Gemeinschaften befinden sich unter anderem auf menschlichen, tierischen und pflanzlichen Gewebeoberflächen, wo sie essenzielle Funktionen für den Wirt einnehmen können. Die Zusammensetzung der Mikrobiota korreliert in vielen Fällen mit ihrer Lokalisation und damit ihrer Funktion. Mikroorganismen regulieren und manipulieren ihr Zusammenleben durch die Aussendung von bioaktiven Naturstoffen. Mikrobielle Naturstoffe können antibiotisch wirken, um die Produzenten zu schützen, können aber auch als zelluläres Signal wirken, als Morphogen für den Wirtsorganismus oder als Nährstoff verstoffwechselt werden. Die chemischen Strukturen vieler dieser Naturstoffe sind jedoch unbekannt, und damit sind ihre natürliche Funktion sowie ihr Einfluss auf die Mikrobiota und mögliche Anwendungspotenziale bis heute nur sehr wenig erschlossen. Da Naturstoffe wichtige Funktionen in mikrobiellen Interaktionen spielen, ist ihre Produktion eng mit der Zusammensetzung der Mikrobiota verknüpft. Die Beemelmanns-Gruppe analysiert repräsentative mikrobielle Gemeinschaften, um diesen chemischen Raum zu erschließen.
Mehr zum Thema Forschung am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung findet ihr im Netz unter:
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Arbeiten und Forschen am HZI:
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Wer mehr zum Thema Keime, Antibiotikaresistenzen oder Erkrankungen, die durch Viren und Bakterien verursacht werden lernen will, der kann sich in unserem Wissensportal informieren:
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00:00:00: Wenn man so durch den Wald läuft, alle Sinne scharf gestellt, dann merkt man, hier ist
00:00:09: ganz schön was los.
00:00:11: Aber nicht nur was man hört, sieht oder fühlt ist lebendig.
00:00:16: Manches riecht man auch.
00:00:17: Kennt ihr diesen typischen Waldgeruch?
00:00:22: So.
00:00:23: Ehrdich?
00:00:24: Klingt jetzt nicht mehr so romantisch, aber hier im Labor riecht es genauso.
00:00:31: Denn der Waldgeruch, der stammt von den ganzen mikroskopisch kleinen Lebewesen, die im Boden
00:00:36: leben.
00:00:37: Wisst ihr, wie viele Mikroorganismen sich in einem Kubikzentimeter Erde tummeln?
00:00:43: Ratet mal.
00:00:44: Die Lösung gilt am Ende dieser Folge.
00:00:47: Diese Mikroorganismen, die machen aber nicht nur Waldgeruch, sondern sie liefern uns mit
00:00:51: den Naturstoffen, die sie produzieren, auch Grundlagen für medizinische Wirkstoffe, für
00:00:56: neue Medikamente.
00:00:57: Denn die brauchen wir.
00:00:59: Gegen neue Erreger, gegen bekannte Erreger, die Resistenzen gegen alte Medikamente gebildet
00:01:05: haben und auch gegen Krankheiten, die wir bisher noch nicht teilen können.
00:01:09: Welches Potenzial in diesen Lebensgemeinschaften steckt, die wir im Boden oder auch im Wasser
00:01:16: finden, das weiß Prof.
00:01:18: Christine Bemelmans.
00:01:19: Sie leitet die Abteilung Anti-Infektiver aus Mikrobiota am Helmholtz-Institut für pharmazeutische
00:01:24: Forschung Saarland.
00:01:25: Kurz HIPPS.
00:01:26: Wir sprechen heute über diese riesigen, diversen Lebensgemeinschaften aus verschiedensten,
00:01:32: winzigen Lebewesen, über die Stoffe, die sie herstellen und warum die für die Wirkstoffforschung
00:01:37: so interessant sind.
00:01:38: Außerdem, wie wir alle dabei mithelfen können, neue solcher Stoffe zu finden und, wie versprochen,
00:01:44: die Auflösung unserer Quizfrage.
00:01:46: Wie viele Mikroorganismen leben in einem Kubikzentimeter Erde?
00:01:50: Also aufmerksam zuhören.
00:01:52: Wie lösen Bakterien und wirren Krankheiten aus?
00:02:00: Wie währt sich unser Immunsystem dagegen?
00:02:02: Und was müssen Wirkstoffe können, um gefährliche Infektionen zu bekämpfen?
00:02:06: Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, kurz HZI, wird nach Antworten auf diese Fragen
00:02:13: besucht.
00:02:14: Wie diese Forschung funktioniert?
00:02:16: Wie die Ergebnisse in der Medizin genutzt werden?
00:02:18: Und wer die Menschen sind, die hier forschen?
00:02:21: Das hört ihr hier bei "Infect", dem Podcast des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung.
00:02:26: Ich bin Julia Deman, Biologin und Wissenschaftsjournalistin.
00:02:31: Hi!
00:02:32: Wir sind heute nicht in Braunschweig, sondern in Saarbrücken, nämlich in einem Büro des
00:02:39: HIPPS des Helmholtz-Instituts für pharmazeutische Forschung.
00:02:42: Und bei mir ist Professor Christine Bemelmans.
00:02:47: Schön, dass wir heute hier sein können.
00:02:49: Wir duzeln uns natürlich auch hier.
00:02:51: Das ist, glaube ich, normal in der Wissenschaft, oder?
00:02:53: Das ist vor allem ganz normal im Saarland.
00:02:55: Sehr schön.
00:02:56: Für eine Kölnerin auch völlig normal.
00:02:58: Christine, bevor wir jetzt gleich tiefer in deine Forschung hier am HIPPS einsteigen,
00:03:04: liegt mir die ganze Zeit schon Frage auf der Zunge, was bedeutet dir eigentlich Natur?
00:03:10: Natur bedeutet für mich Natur.
00:03:12: Um draußen zu gehen in den Wald, direkt hier quasi hinter dem Institut oder bei uns im
00:03:17: Garten und die Vögel Zwitschern zu hören und die sind hier ziemlich laut, aber auch
00:03:22: den Duft vom Wald zu riechen, quasi die Bodenbakterien, die man schon riechen kann und wirklich
00:03:28: das Leben im Wald zu sehen.
00:03:30: Das ist so Natur für mich.
00:03:32: Also nicht nur in deiner Forschung, sondern auch privat, merkt man, bist du da sehr verbunden.
00:03:37: Aber jetzt mal wirklich, woran forscht du hier?
00:03:41: Also wir forschen an Bakterien und Pilzen, die nennt man auch Mikroben, und diese Organismen
00:03:48: produzieren Substanzen, um zu überleben oder auch miteinander zu reden.
00:03:53: Und wir sind daran interessiert herauszufinden, wie diese Mikroorganismen miteinander reden.
00:03:59: Also zum Beispiel, wir redet ein Bakterium mit dem anderen, wir reden die Bakterien
00:04:02: untereinander und sie machen das im Prinzip durch die Aussendung von Botenstoffen.
00:04:07: Bei Insekten nennt man das Pheromonen, auch bei Menschen.
00:04:10: Und bei Bakterien oder Pilzen nennt man das eigentlich Naturstoffe.
00:04:13: Und die wollen wir quasi analysieren und schauen, wie sie aussehen, weil sie im Prinzip auch
00:04:18: eine Aktivität tragen.
00:04:19: Naturstoffe, finde ich, klingt ja erstmal so ein bisschen, ja, vielleicht ein bisschen
00:04:22: nach Alternativmedizin oder vielleicht auch ein bisschen mittelalterlich oder so.
00:04:26: Aber dort findet man sie auch.
00:04:28: Alle öhemopathischen Heimmittel basieren im Prinzip darauf, dass sie irgendwann mal einen
00:04:32: Naturstoff gesehen haben.
00:04:33: Ja, irgendwann vor den tausenden Potenten.
00:04:36: Richtig.
00:04:37: Aber warum ist das denn wirklich ein superwichtiges und auch superaktuelles und hochwissenschaftliches
00:04:44: Forschungsgebiet?
00:04:45: Um Krankheiten zu bekämpfen, vor allem jetzt bei Menschen, aber auch bei Tieren, brauchen
00:04:51: wir im Prinzip die Unterstützung der Natur und in dem Sinne auch die Unterstützung der
00:04:54: Naturstoffe.
00:04:55: Unsere Antibiotika, die wir heutzutage nehmen, die basieren im Prinzip auf Naturstoffen,
00:05:00: auf diesen Strukturen.
00:05:02: Und wir wissen ja alle, dass wir häufiger krank werden, häufig Infektionen erleiden.
00:05:07: Und um diese zu bekämpfen, brauchen wir im Prinzip diese Naturstoffe aus der Natur,
00:05:12: aus Bakterien und Pilzen.
00:05:14: Wenn wir zum Beispiel krank sind und ein Antibiotikum, was jetzt aktuell zwar auf dem
00:05:20: Markt ist, aber einfach nicht mehr wirkt, ich glaube, das ist auch einfach so ein Problem,
00:05:23: oder?
00:05:24: Richtig.
00:05:25: Also wir haben noch derzeit aktive Antibiotika, die funktionieren, aber es entstehen ja auch
00:05:30: immer mehr Resistenz bzw. die Verbreitung der natürlich existierenden Resistenzen,
00:05:35: ist sehr hoch und es entstehen neue noch dazu, sodass wir im Prinzip nicht mehr alle Antibiotika
00:05:41: nutzen können, die wir in den letzten Jahrzehnten benutzt haben.
00:05:44: Also das, was in den 50er, 60er Jahren funktioniert hat, funktioniert in vielen Fällen heute
00:05:49: nicht mehr.
00:05:50: Das heißt, wir müssen alternative Naturstoffe finden oder Modifikationen davon, die die
00:05:55: Bakterien noch nicht gesehen haben oder die Pilzen.
00:05:57: Ja, wir haben ja jetzt gerade über Antibiotika geredet und eben Resistenzen, aber gibt es
00:06:03: denn auch andere Medikamente, wo eben Naturstoffe quasi Ausgangsstoffe sein können?
00:06:07: Ja, natürlich.
00:06:08: Zum Beispiel in der Krebstherapie sind auch Naturstoffe, ich bin da eine große Rolle,
00:06:13: weil im Prinzip sehr viele Chemotherapeutiker auf Naturstoffstrukturen basieren und die
00:06:17: sind auch in vielen Fällen aus Bakterien oder Pilzen isoliert worden.
00:06:21: Warum sind denn gerade Mikroorganismen so gute Quellen für Wirkstoffe, die dann auch zu neuen
00:06:26: Medikamenten weiterentwickelt werden können?
00:06:28: Also man muss sich vorstellen, dass Bakterien schon vor hunderten von Millionen von Jahren
00:06:32: entstanden sind, die ersten und sich dort, sagen, seit dem Zeit hatten zu entwickeln
00:06:37: und auch die Produktion dieser Naturstoffe zu optimieren.
00:06:40: Und sie haben ja sehr lange nur mit sich selber interagieren müssen.
00:06:44: Das heißt, sie haben sozusagen Kommunikationswege erfunden, sie haben aber auch im Prinzip Abwehrmechanismen
00:06:51: erfunden und basierend auf diesen Naturstoffen, um ihre Gegner vielleicht sozusagen abzutöten
00:06:58: oder zumindest so weit zu vertreiben, dass sie nicht mehr in ihrem direkten Umfeld sind.
00:07:03: Und wenn man auf diese Historie von diesen Millionen von Jahren der Evolution zurückgreift,
00:07:08: dann haben wir natürlich einen riesen Potenzial, dass wir jetzt ausschöpfen können.
00:07:12: Jetzt reden wir ja aber vor allem nicht von einzelnen Mikroorganismen, sondern von Lebensgemeinschaften.
00:07:19: Also du hast ja schon einen verschiedensten Lebensgemeinschaften.
00:07:22: Naturstoffe eben erforscht zum Beispiel am Leibniz-Institut für Naturstoffforschung
00:07:27: in Jena an Termiten und Hydraktinien, glaube ich.
00:07:31: Also Wasser, Tieren, oder Wasser-Lebewesen, ganz klein, die eben Kolonien bilden.
00:07:37: Wo findet man denn noch neue Naturstoffe?
00:07:41: Erst mal auf die Systeme, die wir vorher untersucht haben.
00:07:45: Man muss sich eben vorstellen, dass alle wir oder auch alle Tiere, Insekten,
00:07:52: sich in einer Umgebung von Bakterien oder Pizzen evolviert haben, also sozusagen sich entwickelt haben.
00:07:58: Das heißt, sie mussten sich irgendwie miteinander arrangieren.
00:08:02: Und das ist auch schon Millionen von Jahren her, also das Termitensystem zum Beispiel,
00:08:06: ist 40 Millionen Jahre alt.
00:08:08: Und seitdem müssen die miteinander auskommen als Gemeinschaft.
00:08:11: Das heißt, sie haben auch Mechanismen, wie jetzt Naturstoffe,
00:08:15: evolviert, um sozusagen gemeinsam die Zeit zu überleben.
00:08:19: Und das war sehr interessant, weil dadurch konnten wir im Prinzip in der Geschichte
00:08:23: zurückschauen, welche Naturstoffe damals wahrscheinlich auch schon produziert worden sind,
00:08:27: die wir heute noch nachweisen können.
00:08:30: Und dasselbe ist auch bei dem Marienensystem.
00:08:32: Die Knidarien, die sind auch 300, 400 Millionen Jahre alt.
00:08:35: Das sind die ersten fossilen Rekords, also fossilen Nachweise, die wir von diesen Organismen haben.
00:08:41: Und seitdem leben die schon mit Bakterien zusammen.
00:08:43: Das heißt, sie sind essentiell für die.
00:08:45: Und das war interessant für uns herauszufinden, welche Naturstoffe in diesem Zusammenhang
00:08:50: eine wichtige Rolle spielen und wahrscheinlich schon seit sehr, sehr langer Zeit.
00:08:54: Im Prinzip kann man sich jede Art von Symbiose auf unserem Planeten anschauen.
00:08:58: Pflanzen, Symbiose mit Bakterien zum Beispiel, die existieren auch schon seit Millionen von Jahren.
00:09:02: Man kann sich auch jede andere Tierart oder uns Menschen ansehen.
00:09:05: Wir sind eigentlich historisch noch sehr jung.
00:09:08: Das heißt, unser Mikrobiom hat sich natürlich auch mitentwickelt.
00:09:11: Aber im Vergleichen zu anderen Systemen sind wir noch recht jung auf dem Planeten.
00:09:15: Und das kann man sich im Prinzip so sein Steckenpferd auch aussuchen.
00:09:18: Man kann natürlich nicht auf allem gleichzeitig arbeiten.
00:09:21: Aber wenn man sich sozusagen ein bestimmtes System herausucht,
00:09:24: kann man das sehr schön an seinen einzelnen Mikroorganismen im Prinzip sitzieren.
00:09:29: Das heißt, es ist auch das, was in und auf uns lebt an Bakterien und
00:09:34: ja, ein mikroskopisch kleines Lebewesen, das zählt im Grunde genommen auch dazu.
00:09:38: Natürlich, ja. Das ist das Humor, eine Mikrobiom.
00:09:41: Wir haben auch jetzt ein kleines Projekt, wo wir das Schildkröten Mikrobiom anschauen.
00:09:45: Kann man sich auch anschauen.
00:09:46: Die Schildkröte ist 100 Jahre alt, das ist schon ein bisschen älter als wir.
00:09:49: Das heißt, man hat dann natürlich ein ganz anderes Setting
00:09:52: und auch natürlich eine ganz andere Lebensweise, aber im Prinzip auch ihr eigenes Mikrobiom.
00:09:56: Verrückt. Aber können auch in so einem Mikrobiom, also was in einem Organismus sozusagen drin lebt,
00:10:01: können da auch Naturstoffe theoretisch vorhanden sein, die später zu Wirkstoffen werden können?
00:10:06: Auch praktisch.
00:10:08: Also wir können sie theoretisch nachweisen, indem im Prinzip die Genome der Bakterien
00:10:11: aus unserem Mikrobiom analysieren.
00:10:14: Dann kann man sie vorher sagen, was kann sozusagen diese Organismus oder diese Organismen produzieren.
00:10:19: Und man kann es natürlich einmal auch analytisch nachweisen.
00:10:23: Das hat natürlich auch ein paar technische Hürden, aber es geht.
00:10:26: Oder man kann es im Prinzip rekonstituieren, das heißt, im Labor nachbauen
00:10:30: und dann dadurch die Naturstoffe nachweisen.
00:10:32: Das hat man schon in einigen Fällen geschafft.
00:10:33: Das sind auch in vielen Fällen Antibiotika, also die Substanzen, die antibiotische Wirkung haben.
00:10:39: Und wir sind gerade dabei, erst das auszuschöpfen.
00:10:42: Also wir haben gerade erst als sozusagen wissenschaftliche Community erst angefangen,
00:10:46: das im Prinzip zu beschreiben und jetzt auch für uns nutzbar zu machen.
00:10:50: Jetzt haben wir ja gerade schon ein bisschen darüber gesprochen, wie man dann da ankommt,
00:10:53: aber vielleicht noch mal ein bisschen konkreter.
00:10:56: Also klar, wir haben eben die Mikroorganismen.
00:10:59: Wir wissen, wo man die so ein bisschen findet im Boden, aber auch im Wasser,
00:11:03: auch in anderen Lebewesen oder an anderen Lebewesen.
00:11:07: Und wir haben eben auch darüber gesprochen, dass sie eben diese Naturstoffe produzieren.
00:11:11: Aber wie kommt man jetzt an diese Stoffe ran?
00:11:14: Also der einfachste Fall, um die Naturstoffe zu isolieren und wirklich in den Händen zu haben,
00:11:19: als Substanz ist eigentlich, die Organismen zu isolieren.
00:11:22: Das heißt, man nimmt die Probe zum Beispiel aus dem Stuhl, aus dem Darmtrakt von Menschen
00:11:28: und versucht verschiedene Isolierungmethoden, um diese Organismen sozusagen in die Hände zu bekommen,
00:11:34: sie auch rein zu bekommen und sie dann auch vollständig charakterisieren zu können.
00:11:37: Und damit kann man im Prinzip mikrobiologisch dann die Naturstoffe auch produzieren,
00:11:43: indem man diese Bakterien vermehrt und die produzieren.
00:11:46: in den besten Fällen nehmen, dann diesen Naturstoff, den man dann über analytische Chemie im Prinzip
00:11:51: aufreinigen kann und charakterisieren kann.
00:11:53: Jetzt gibt es ja auch die Möglichkeit, als Nichtwissenschaftler oder Wissenschaftlerinnen
00:11:58: quasi an dieser Forschung aktiv teilzunehmen. Wie funktioniert das?
00:12:02: Ja, da gibt es hier am Institut das sogenannte Mikro-Belix-Projekt und dort kann man im Prinzip
00:12:09: Proben einschicken. Es gibt sozusagen ein Kit, wo man eine Sammeldose bekommt oder eine
00:12:15: Dose, wo man im Prinzip die Probe nachher verschicken kann. Und es wird sozusagen angefragt,
00:12:20: aus aller Umgebung, aus aller Natur, aus dem Garten, aus dem Komposthaufen, von der Straße
00:12:26: oder sonst wo Proben einzuschicken und die werden dann hier analysiert und dort werden
00:12:31: auch im Prinzip geschaut, welche Mikroorganismen sind in dieser Probe und können wir ganz
00:12:35: spezifische Naturstoffproduzenten daraus isolieren, mit der Hoffnung natürlich, dass
00:12:40: wir auch sehr star, also sehr gute Antibiotika-Produzenten finden können.
00:12:45: Das heißt, ich könnte jetzt so ein Kit auch wahrscheinlich von hier aus mit nach Hause
00:12:48: nehmen, nach Köln und da irgendwo...
00:12:51: Genau, deutschlandweit. Also man kann überall sammeln am besten in Deutschland. Aber es
00:12:55: gibt natürlich auch mittlerweile auch Tendenzen, dass man europäisch sammeln kann, wenn man
00:12:59: sozusagen auch bestimmte Regulare in einhält. Das ist immer ganz wichtig in unserem Feld.
00:13:04: Aber natürlich, man kann anfangen, es gibt eine Webseite, wenn man seine Kontaktarten
00:13:08: hinterlässt, wird dann das Kit einem zugeschickt, auch mit allen Anweisungen und einem Hinweis
00:13:13: in was man beachten soll.
00:13:14: Ich nehme auf jeden Fall eins mit und werde euch eine Probe aus Köln schicken.
00:13:18: Vielleicht?
00:13:19: Ja, wir haben jetzt zum Beispiel bei uns in der Schule auch im Prinzip 30 Kits jetzt auf
00:13:23: dem Schulausflug mitgenommen. Das ist natürlich dann jede Menge Probenmaterial. Aber ich denke,
00:13:28: es trägt auch dazu bei, dass jeder ein bisschen ein Verständnis dafür bekommt.
00:13:32: Was ist denn jetzt, wenn ich war, sie nicht als Schülerin oder auch jetzt ich, einfach
00:13:35: wenn jetzt tatsächlich ich euch eine Probe schicke und ihr stellt fest, da ist ein Kandidat
00:13:40: dabei, bekomme ich dann Bescheid?
00:13:41: Ja, natürlich. Jede Probe hat natürlich eine bestimmte ID, die auch verbunden ist mit
00:13:46: dem Sammler oder Sammlerin. Und da gibt es dann regelmäßig Rückmeldung. Das ganze System
00:13:52: wird derzeit nochmal abgedatet, so dass es auch ein bisschen schneller Rückmeldungen
00:13:56: gibt. Aber natürlich.
00:13:57: Wow, richtig cool. Also ich finde, das motiviert ja auch noch mal. Da trägt man irgendwie
00:14:00: aktiv zur neuen Wirkstoß-Suche bei.
00:14:03: Ist ein bisschen wie eine Schatzung.
00:14:05: Ja, das wäre jetzt meine nächste Frage. Also bei so unfassbar vielen Arten, ja, an
00:14:11: Mikroorganismen. Dadurch eben auch unfassbar vielen Naturstoffen, die sie produzieren.
00:14:16: Wie ist denn da am Ende jetzt wirklich die Ausbeute? Also welche Stoffe werden oder wie
00:14:21: viele Stoffe werden weiter erforscht und wie viele werden tatsächlich am Ende dann auch
00:14:24: zum Medikament oder zur Wirkstoffe?
00:14:26: Ja, wir müssen natürlich auch gewisse Selektionskriterien an solche Proben setzen. Das heißt,
00:14:32: wenn in einer Bodenprobe zum Beispiel zehn noch neun Bakterien drin sind, dann können
00:14:37: wir...
00:14:38: Also unfassbar viele Nullen hinten dran.
00:14:39: Und natürlich kann man natürlich nicht alle von denen isolieren oder charakterisieren
00:14:45: oder die Naturstoffe daraus identifizieren. Sondern was man im Prinzip macht, man kann
00:14:51: ein Selektionsfilter hinsichtlich der Arten der Bakterien setzen, zum Beispiel ist es
00:14:55: im Mikro-Belix-Projekt, ein besonderer Fokus auf den Myxobakterien, weil die bekannt sind
00:15:01: sehr hoch, ein großes Potenzial zu haben, Naturstoffe zu produzieren. Und das heißt,
00:15:06: dass man aus einem neuen Stamm bekommt und natürlich auch neue Naturstoffe heraus. Das
00:15:10: selbe kann man aber auch mit anderen Bakterienarten ansetzen. Wir fokussieren uns zum Beispiel
00:15:15: sehr auf Aktinobakterien oder auf Proteobakterien, die ebenfalls ein sehr hohes Potenzial haben.
00:15:21: Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass einer neuen Spezies auch eine neue Substanz bekommt,
00:15:25: ist recht hoch. Wenn man einmal davon ausgeht, man ausrechnet jeder neue Stamm hat ca. 20
00:15:29: sogenannte Genklasse, die dafür verantwortlich sind, Naturstoffe zu produzieren, dann ist
00:15:35: es sehr wahrscheinlich, dass einer von den 20 auch aktiviert ist, sodass man ein Naturstoff
00:15:39: bekommt. Ob der natürlich dann zum Wirkstoff weiterentwickelt wird oder werden kann, wird
00:15:44: sich dann an den weiteren Studien zeigen. Was aber wichtig ist, dass wir eben unsere
00:15:49: Pipeline-Analyse immer weiter füllen mit neuen Naturstoffen, sodass die Wahrscheinlichkeit
00:15:53: eine Liedstruktur herauszufinden steigt. Man kann einfach sagen, wenn man 1000 Naturstoffe
00:16:00: hat, dass man zumindest 10 wirklich potenzielle Kandidaten hat, die man auch wirklich in die
00:16:06: präklinischen Studien weiter voranbringen kann, weil das kostet natürlich auch alles
00:16:10: Geld. Wir können ja jetzt nicht anfangen, 1000 Substanzen in die Präklinik zu schicken,
00:16:14: sondern muss da schon ein bisschen Selektionsfilter ansetzen.
00:16:17: Das heißt ja, da kommt schon am Ende eine ganze Menge zusammen, aber wie behält man
00:16:21: da den Überblick? Wie managt man das Ganze?
00:16:24: Ja, das ist schon das richtige Wort. Managt, das ist das richtige Stichwort. Man braucht
00:16:29: natürlich ein gutes Datenmanagement. Man muss wissen, welche Stämme vorhanden sind,
00:16:33: man muss wissen, welche Stämme was produzieren und vor allem, wie die Strukturen auch aussehen,
00:16:38: die man isoliert hat oder charakterisiert hat. Das wird bei uns im Haus oder auch im
00:16:43: Zentrum sozusagen organisiert, sodass wir spezifische Datenbanken dazu gibt, die man auch durchsuchen
00:16:49: kann, im Sinne von in Kollaborationen im Prinzip darauf Zugriff hat und sich anschauen kann,
00:16:54: wie der Stamm jetzt was produziert. Und das ist relativ wichtig. Ohne dieses Datenmanagement
00:17:00: gehen auch Informationen verloren und dann in der sogenannten Schublade.
00:17:04: Also das heißt da gibt es eine richtige, wie so eine Art Bibliothek oder Datenbank?
00:17:08: Ja, also Datenmanagement ist ganz wichtig. Wenn wir sozusagen unsere Daten nicht speichern
00:17:14: und für unsere Kollaborationspartner zugängig machen können, dann verlieren wir natürlich
00:17:19: auch viel von unserem Schatz. Das heißt, wir müssen es schon so organisieren, dass man
00:17:24: jeden Stamm, jetzt Bakterien, jeden Pilz, den wir isoliert haben, auch seinen Naturstoffen
00:17:28: zuordnen kann, sodass wir dann auf diese Extrakto, wo die Naturstoffe drin sind, zurückgreifen
00:17:33: können, auch entsprechende Biotests machen können oder eben auch die Naturstoffe selber
00:17:39: für weitere Studien zur Verfügung stellen können.
00:17:41: Wie viele Naturstoffe oder wie viele Bakteriendaten liegen denn da so?
00:17:46: Also wenn wir zentrumsweit schauen, dann haben wir natürlich einen enormen Schatz. Also wir
00:17:50: sprechen hier schon von 10.000 Stämmen, die verschiedenste Wissenschaftler aus dem Zentrum
00:17:56: isoliert haben und auch charakterisiert haben. Und dann sprechen wir natürlich auch über
00:18:00: 1.000 oder mehr Naturstoffe, die dann im Prinzip verfügbar sind für Biotests, also schon evaluiert
00:18:07: worden sind hinsichtlich ihrer Aktivität.
00:18:09: Wie hängt denn eigentlich eure Arbeit hier am HIPPS mit der Arbeit deiner Kolleginnen
00:18:15: am HZI zusammen?
00:18:16: Es gibt sehr viele Interaktionen auf verschiedenster Ebene. Also wenn man sich jetzt die Mikroben
00:18:21: anschaut, an denen wir auch sehr stark interessiert sind, dann gibt es natürlich auch die Arbeitsgruppe
00:18:26: von Marc Stadler, die ist ja stark an pilzlichen Naturstoffen interessiert sind und an neuen
00:18:32: Stämmen oder auch vor allen Dingen taxonomisch die neu einzuordnen, sodass man auch wirklich
00:18:37: voraus sagen kann, ob neue Naturstoffe von diesen produziert werden. Dann gibt es im
00:18:41: Bereich der chemischen Biologie auch extrem über, sozusagen, Schnittschnellen, zum Beispiel
00:18:45: mit Marc Brönstrup, dass wir sozusagen neue Elite-Strukturen weiterentwickeln, auch ein
00:18:49: bisschen sozusagen Anwendungsbereiche bringen.
00:18:52: So einige Beispiele oder auch Mode of Action Studies sozusagen weiter vorantreiben. Da gibt
00:18:56: es einige hinsichtlich der Mikrobiota. Es gibt auch sehr viele Gruppen, die daran interessiert
00:19:02: sind vor allem im Bereich des humanen Mikrobiomes. Wie setzt es sich zusammen unter bestimmten
00:19:06: Bedingungen oder in bestimmten Krankheitsbildern? Also die Interaktionen sind sehr stark.
00:19:09: Es klingt total spannend, ne? Weil man da ja auch irgendwie wirklich ins Gespräch kommt,
00:19:13: dass es total wichtig ist. Und da merkt man auch das Management, das Datenmanagement
00:19:17: wieder, dass das wirklich eine große Rolle spielt, damit da eben alle drauf zugreifen
00:19:20: können.
00:19:21: Und hast du ja nicht nur in Deutschland geforscht, sondern eben auch in Japan und in den USA,
00:19:27: wie wichtig ist denn dieses auch mal, woanders gucken, mal nach außen gucken? Also was kann
00:19:32: man da sich voneinander auch abschauen oder was kann man voneinander lernen?
00:19:35: Ziemlich viel. Also ich würde es jedem raten, auch wirklich mal ins Ausland zu gehen, um
00:19:39: sich da die Forschungslandschaft anzuschauen, weil sie sich doch grundlegend unterscheidet.
00:19:45: Hier haben wir jetzt die zwei Extreme mit Japan und USA. Aus dem amerikanischen Raum kann
00:19:51: ich wirklich sagen, dass die Forschungsmentalität auch die Freude an der Forschung sehr groß
00:19:56: ist, vor allen Dingen auch etwas voranzubringen. Und das kann man sich schon abschauen. Darf
00:20:00: natürlich nicht vergessen, es wird überall mit Wasser gekocht. Es ist auch so, aber
00:20:04: einfach die Einstellungen, die positive Einstellungen zur Forschung, dass es da besonders ist mir
00:20:08: besonders aufgefallen. Und was ich aus Japan im Prinzip mitgenommen habe, war auch die
00:20:13: Arbeitsmentalität, die Einstellung, dass man auch, wenn man was erreichen will, auch
00:20:16: wirklich fleißig sein muss. Es geht manchmal ein bisschen zu Lasten der Kreativität, aber
00:20:20: gerade in der Naturstoffchemie ist Fleiß auch ein essenzieller Faktor. Und deswegen kommen
00:20:24: auch sehr, sehr viele Erfolgsgeschichten in der Naturstoffchemie eigentlich aus Japan,
00:20:30: also der hat sich sehr, sehr erfolgreich und prinzip fleißig diese Naturstoff isoliert
00:20:35: und charakterisiert haben. Das ist doch ein sehr mühseliges Geschäft an manchen Stellen.
00:20:40: Also da merkt man einfach nochmal, wie wichtig das ist. In der Neustadt ist Deutschland wahrscheinlich
00:20:43: so ein bisschen die Mitte irgendwie. Ja genau. Da hört man ja aber eben auch mal wieder,
00:20:48: du bist sehr, sehr fleißig gewesen und bist es immer noch, hast eben auch über den Teller
00:20:53: ran geguckt. Und ich frage mich immer, ja, also Forscherin, kann man ja auch wirklich
00:20:58: nur sein, wenn man das zu 100 Prozent lebt, das kommt bei dir, finde ich, schon auch so
00:21:03: durch. Du hast ja aber auch Familie. Also wie geht das zusammen, das Privatleben und
00:21:09: eben diese Forschung, wo man wirklich auch zu 100 Prozent im Job drin steckt?
00:21:13: Ja, es ist immer eine Gratwanderung, wie man das so schön sagt. Ich denke, es ist eigentlich
00:21:21: ganz gut vereinbar, wenn man ja doch, also wenn man zu Kompromisse bereit ist. Typisches
00:21:27: Beispiel. Letzte Woche war ich eine Woche auf Konferenz. Diese Woche ist mein Mann auf
00:21:30: eine Woche auf Konferenz. Da muss man sie sozusagen die Hand in Hand geben und dann
00:21:35: muss jeder sozusagen ein bisschen zurückstehen in der Woche, wo der andere eben nicht da
00:21:38: ist. Dazu muss man bereit sein. Wenn das nicht klappt, dann ist es halt eben nicht so
00:21:44: eine Erfolgsstory. Dem entnehmen wir ich, dein Mann ist auch Wissenschaftler. Ja, wir
00:21:49: sind quasi zwar Akademiker. Also geht ihr manchmal in den Waldproben sammeln? Wir gehen
00:21:53: eigentlich immer im Waldproben sammeln und es kommt schon zum Kommentar jetzt nicht
00:21:58: noch mal oder jetzt mach mal, wir müssen jetzt voran. Also ja, es begleitet einen immer
00:22:05: und man muss aber auch aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Das stimmt. Was machst
00:22:09: du sonst unter einer Freizeit oder wie kannst du dich auch mal so ein bisschen vom Job
00:22:12: erholen? Sputeln im Garten. Immer mit dem Probengefäß dabei. Vielen, vielen Dank
00:22:19: für dieses spannende Gespräch über die Mikroorganismen und die Naturstoffe, die sie
00:22:23: so herstellen und wo man die findet und wie wichtig das auch für unsere Medizin und
00:22:28: den medizinischen Fortschritt ist. Dankeschön. Bitte. Und? Wie viele Mikroorganismen leben
00:22:35: der nun in einem Kubikzentimeter Erde? Je nach Erdfleck sind das zehn hoch neun Mikroorganismen.
00:22:42: In Fact ist ein Podcast der Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung GmbH Braunschweig,
00:22:49: produziert von TVN Corporate Media, Creative Producer, Rolf Rosenstock und Malte Füllgrabe.
00:22:56: Ich bin Julia Deman. In unserer nächsten Folge spreche ich mit Professor Thomas Piedschmann
00:23:02: unter anderem darüber, was Viren so erfolgreich macht und warum sich immer noch jedes Jahr
00:23:07: 1,5 Millionen Menschen weltweit mit Hepatitis C anstecken.
00:23:11: [Musik]
00:23:29: [MUSIK]
00:23:31:
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